Seit einigen Wochen ist Abstand halten angesagt, um Infektionsketten zu unterbrechen und sich und andere vor einer Ansteckung mit dem gefährlichen Coronavirus zu schützen. Mir fällt es schwer, auf Distanz zu bleiben, weil ich sonst gerne die Freude froher Momente oder auch die Anteilnahme in schweren Stunden mit einem Händedruck oder einer Umarmung unterstreiche.
Das Kreuz in Neumünster, Würzburg, zeigt einen gekreuzigten Christus, der die Arme vom Querbalken genommen hat und sie wie zur Umarmung vor der Brust kreuzt.
Im Evangelium des zweiten österlichen Festsonntags fordert der auferstandene Christus seinen Freund Thomas auf, nicht nur ganz nahe herzukommen und ihn zu berühren, sondern seinen Finger in die Wunden an seinen Händen, seine Hand in die geöffnete Seite zu legen!
Jesus blieb nie auf Abstand: Kranke berührte er, Kindern legte er die Hände auf, Tote richtete er auf und Sünder schloss er in seine Arme. Und jetzt soll Thomas da hinlangen, wo Jesus verwundet ist, um zu erkennen und glauben zu können, dass Jesus diese todbringenden Wunden, die ihm am Kreuz von Golgota beigebracht wurden, überwunden hat und lebt. Dieser „Anschauungsunterricht“ im Abendmahlssaal von Jerusalem gehört zur Glaubensschule, in die Jesus seine Jünger nimmt, damit sie wirklich auch glaubwürdige Zeugen für seine Auferstehung sein und die Menschen zum Glauben, zur Hoffnung und zur Liebe bewegen können.
Ob mit den Erfahrungen dieser Wochen uns der Auferstandene auch in besondere Unterrichtsstunden der Glaubensschule nehmen will? Dass wir uns zurücknehmen und einschränken müssen, ist auszuhalten. Dass die Kar- und Ostertage ohne Gemeinde zu feiern sind, nicht vorstellbar. Dass viele Erstkommunionkinder heute noch nicht die Hände nach Jesus in der Eucharistie ausstrecken dürfen, ist schmerzlich. Dass die Bewohner in Alten- und Pflegeheimen oder auch in den Kliniken seit Wochen keinen Besuch ihrer Angehörigen empfangen dürfen, ist hart. Dass pflegendes Personal nicht nur an die Grenzen der Belastbarkeit kommt, sondern über die Maßen gefordert ist, macht die Extremsituation dieser Wochen besonders deutlich. Dass bereits Tausende Menschenleben zu beklagen sind, ist erschreckend. Eine harte Schule.
Aber der Lehrer dieser Schule, der auferstandene Christus, bietet uns, wie seinerzeit dem Thomas, seine Hände und sein Herz an, um seiner Liebe auf die Spur zu kommen: „Streck deinen Finger hierher und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Das ist das erklärte Ziel nicht nur jener Unterrichtsstunde im Abendmahlssaal, nicht nur in diesen kritischen Zeiten, sondern für das ganze Leben eines Freundes Jesu: an ihn zu glauben und das Leben zu haben in seinem Namen. Nichts weniger bietet er uns an – mit offenen Händen und aus ganzem Herzen.
Pfr. Robert Neuner