… der gute Hirte.“ Wir kennen dieses Wort Jesu und erwarten es heute am vierten österlichen Festsonntag, den wir auch als den „Gut-Hirten-Sonntag“ kennen. Seit vielen Jahren ist er zugleich auch der besondere Weltgebetstag um geistliche Berufe.
Da ist tatsächlich im heutigen Evangelium auch die Rede von Hirt, Schaf und Stall. Aber sich selbst bezeichnet Jesus als die Tür, die zu Rettung und Leben führt. (Joh 10,1-10)
Vertraute Räume
Achten Sie heute einmal darauf, welche Türen Sie durchschreiten in Ihrer Wohnung oder in Ihrem Haus. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei diesem Schritt merken dürfen, wie Sie einen vertrauten Raum betreten, weil Sie ihn mit lieben und guten Menschen bewohnen und im guten Gespräch miteinander, das bestimmt auch einmal lauter und deutlicher sein kann und darf, das Leben teilen. Vielleicht führt Sie Ihr Weg heute ja auch zum persönlichen Gebet in die Kirche. Auch da mag Sie in einem vertrauten Raum einer erwarten, der gerne mit Ihnen das Leben teilt: der auferstandene Jesus.
Tür als Symbol
Die Tür wird im heutigen Evangelium zum Symbol für Vertrauen und Aufrichtigkeit. Wenn mich ein guter Freund besucht, kommt er durch meine Tür und ich spüre Sicherheit und Ruhe, denn ich weiß: Der, der durch die Tür kommt, will mir Gutes. Ich kenne ihn und vertraue ihm. Da geht es nicht um Pflichterfüllung oder Dienst nach Vorschrift, sondern um Zuneigung und Sorge umeinander. Genau diese Art von Menschen, von Hirten, suchen wir heute am Weltgebetstag der geistlichen Berufe. Menschen, die sich auf den Weg machen, als solche Hirten in die Spuren Jesu, des guten Hirten zu treten.
Hirten mit Schwäche und Fehlern
Aber kann man das Bild vom guten Hirten Jesus einfach auf Menschen wie uns übertragen? Es wird gar nicht so einfach sein, in einem Atemzug von Jesus als dem guten Hirten und den Hirten der Kirche zu sprechen. Gewiss sind die Hirten der Kirche in ihrem Dienst und Leben ganz und gar an das Beispiel des guten Hirten Jesus gebunden, sind von ihm gerufen und bestellt, aber sie sind halt dann doch „bloß“ nachfolgende Hirten mit Schwächen und Fehlern, oft weit weg vom „Lamm ohne Fehl und Makel“, wie wir das von Jesus bekennen. Und doch dürfen wir oft auch ihren guten Willen erahnen und erkennen, können ihre Sorge und Aufmerksamkeit erfahren und bekommen vielleicht manchmal sogar mit, wie sie unter ihren eigenen Schwächen mehr leiden als unter den Schwächen anderer.
Hirten sind gesucht
Ein markanter Zug des Selbstporträts, das Jesus vom guten Hirten malt, ist, dass er die Seinen „einzeln beim Namen ruft und sie hinausführt“. Immer größer werdende Seelsorgseinheiten führen ganz von allein dazu, dass ein Pfarrer längst nicht alle Mitglieder seiner Gemeinde mit Namen kennt. Das ist schade! Und anders wäre es mir auch lieber! Oder aber merken wir an dieser Stelle erneut, dass ganz deutlich die Stunde geschlagen hat, das Hirtenamt aller Getauften und Gefirmten neu zu entdecken?
Vor sechs Jahren erlebte ich in einer Gemeinde im Bistum Ndola in Sambia das Treffen einer sogenannten „small christian community“, einer „kleinen christlichen Gemeinschaft“. Miteinander haben die etwa 15 Schwestern und Brüder nach der Methode des „Bibelteilens“ das Sonntagsevangelium betrachtet und sich schließlich der Frage gestellt: Was bedeutet das Erkannte jetzt für uns, wo ist was zu tun? Da war nicht zuallererst das Rufen nach dem Pfarrer oder anderen hauptamtlichen Mitarbeitern, sondern da wurden Antworten gesucht und gefunden auf die Frage: „Was kann ich jetzt konkret machen?“ Da war nichts zu spüren von Pflichterfüllung oder Dienst nach Vorschrift, sondern von Zuneigung und Sorge umeinander. Diese Art von Menschen, von Hirten, wird gesucht! Menschen, die voneinander wissen und mit einem guten Wort oder einer helfenden Hand einander eine Tür öffnen zurück ins Leben, indem sie sich gegenseitig wissen lassen: Ich bin dir gut.
Ich wünsche jedem von uns am heutigen Sonntag wenigstens einen solchen Menschen an die Seite, der uns dies spüren lässt. Zugleich wünsche ich jedem von uns aber auch die Erfahrung, wie wertvoll und schön es ist, selbst für jemanden ein solcher Mensch zu sein; ein aufmerksamer und liebender Hirt; eine offen stehende Tür, die einlädt, ins Leben zu treten und heute schon das verlässliche Ziel zu erahnen, zu dem Jesus uns führen will: das Leben in Fülle.
Vielleicht können wir dann ja auch voneinander singen, was wir sonst vom liebenden Gott bekennen: „Du führst mich hinaus ins Weite, du machst meine Finsternis hell!“ (GL 629,1)
Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen und eine gute neue Woche!
Ihr
Pfarrer Robert Neuner