„Lass dich doch einmal hinauf!“, so begann P. Blasius Mayer vor wenigstens 40 Jahren, eher sind es 45 Jahre, seine Predigt zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel in Kaisheim. Ich höre ihn geradezu noch mit seiner starken, markanten Stimme, die mich seinerzeit als Ministranten sehr beeindruckt hat.
„Lass dich doch einmal hinauf!“, so überschreibt Gerd Gaiser seine Kurzgeschichte, in der er von einem Jungen erzählt, der als eifriger Schüler seinem Wissensdrang folgt und in eine Erdspalte steigt, um sie zu erforschen. Bald aber merkt er, dass er in sein eigenes Grab gestiegen ist, denn aus eigener Kraft kann er sich nicht mehr befreien; die Hilfe anderer Menschen darf er nicht erwarten, weil ihn niemand sucht und darum auch niemand finden wird. In zunehmender Erschöpfung verwirren sich seine Gedanken und er weiß: „Hinablassen… als ob dabei etwas zu tun wäre. Die Erde schluckt einen an; und du bremst ein wenig. Das ist das Ganze. Aber lasst euch doch einmal hinauf!…“
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Wir alle wissen es, Schwestern und Brüder, das geht nicht. Aus eigener Kraft heben wir nicht ab.
Finden wir uns da nicht wieder am Teich in der Nähe des Schaftors von Jerusalem? „Ich habe niemanden, der mich, sobald das Waser aufwallt in den Teich trägt.“, klagt der Gelähmte. Der Überlieferung nach wird der erste, der in das aufwallende Wasser hineinsteigt, geheilt. Aber der Gelähmte hat keinen, der ihm hilft, dort hin zu kommen. Er ahnt nicht, wer vor ihm steht und dass der gleich ein Wort sprechen wird, das sein ganzes Leben auf den Kopf und ihn auf die Füße stellt. „Steh auf, nimm deine Liege und geh!“
Jesus richtet ihn auf, weil er das Leben der Menschen will. Und um es ihnen geben zu können, braucht er Menschen, die einander genau diesen Willen Gottes wissen und Gottes Hunger nach Leben, nach unserem Leben spüren lassen.
Dazu hat er Blasius Mayer gebraucht. Und der hat sich brauchen lassen.
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Am 5. Oktober 1935 wurde Blasius Mayer in Leitheim geboren und wuchs zusammen mit seinen Geschwistern in einer großen Familie auf.
Ihr, die Geschwister zusammen mit Euren Familien, wisst es, wo der Bruder, der Schwager, der Onkel und Großonkel Euch ein solcher Bote der Freundlichkeit Gottes war. Jahr für Jahr hat er von Rebdorf aus seinen Urlaub daheim in Leitheim verbracht; und wie oft führte ihn sein Weg von Donauwörth aus hinaus in seine Heimatgemeinde; wie groß war aber auch seine Freude, wenn Ihr zu ihm hierher in die Kreuzkirche gekommen seid, um mit ihm Gottesdienst zu feiern und sich aufmerksam und freundlich, einfach gut zu begegnen.
Ungezählte Male stand er hier am Altar und am Ambo, um Gottes Wort zu verkünden und die Geheimnisse des Glaubens zu feiern. Wie vielen Schwestern und Brüdern war er dabei ein wichtiger und verlässlicher Seelsorger und Wegbegleiter geworden. Seine große Liebe zur Musik und zur Kirchenmusik im Besonderen war allen bekannt, die ihn erleben durften. Wie gerne hat er selbst gesungen und musiziert – zur eigenen Freude, zur Freude der Menschen um ihn herum und immer zur Ehre Gottes.
Die vielen Stunden im Beichtstuhl hier in der Wallfahrtskirche vom Heiligen Kreuz wurden für ungezählte Menschen zu heiligen Stunden, zu Gnadenstunden, weil sie durch den Dienst von P. Mayer hören durften: „Deine Sünden sind dir vergeben. Steh auf, nimm deine Liege und geh!“
Wie viele ehemalige Schüler an der Realschule von Rebdorf oder im Internat der Herz Jesu Missionare, für die er sich über 42 Jahre hat in Dienst nehmen lassen, erinnern sich an ihn als „herzlich und hilfsbereit, deftig und kumpelhaft“, wie Sie, Herr Direktor Sandner, P. Mayer anlässlich seiner Verabschiedung von Rebdorf im Jahre 2007 charakterisiert haben. Jungen Menschen Mut zu machen, sich auf ihr Leben einzulassen, das Leben in die Hand zu nehmen und täglich etwas daraus zu machen, das konnte Blasius Mayer. Auf seine ganz eigene Art und Weise übersetzte er so das Wort Jesu in das Leben der jungen Menschen: „Steh auf, nimm deine Liege und geh!“
Nach kurzer, aber schwerer Krankheit verstarb P. Mayer am 15. Mai, heute vor acht Tagen.
Viele Menschen vermissen ihn, weil sie ihn bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie hier am Altar und am Ambo erlebt haben; weil sie ihn als Prediger geschätzt haben, wir mir das neulich auch ausdrücklich der evangelische Kollege, Dekan Hans Heidecker und seine Frau bestätigt haben. Wie gerne sind sie am Sonntag, wenn es der eigene Dienst zuließ, hier in Heilig Kreuz zu Blasius Mayer in die Messe gegangen. Es vermissen ihn die Mesner, für die er zusammen mit P. Paul Großmann aus Genderkingen den Dienst des Präses übernommen hat; wir werden ihn vermissen bei den Treffen der Priester und pastoralen Mitarbeiter im Dekanat. So oft es ihm möglich war, nahm er an unseren Konferenzen teil und brachte sich auf seine Art ein und brachte etwas in langen Diskussionen auch auf den Punkt, so dass wir wieder weiter machen konnten. Vermissen werden ihn die Ministranten und Mitarbeiter in Heilig Kreuz; seine Mitbrüder hier im Haus, P. Manfred Laschinger und Bruder Hans Smida. Und auch ich vermisse Blasius Mayer. Seit Kindertagen kenne ich ihn, und ich betrachte es als eine besondere Aufmerksamkeit der göttlichen Vorsehung, dass wir seit nunmehr fast fünf Jahren gemeinsam Verantwortung für diese Gemeinde übernommen haben und seit einem Jahr unter einem Dach wohnen durften.
„Steh auf, nimm deine Liege und geh!“ Dieses Jesus-Wort hat unser Verstorbener immer wieder weitergegeben an die Menschen, die seiner Sorge anvertraut waren. Und er konnte es, weil er es sich selbst zu Herzen genommen hat. Immer wieder hat es ihm der auferstandene Herr sagen wollen: Damals, wenige Tage nach seiner Geburt, am Tag seiner Taufe, bei der Profess oder bei der Priesterweihe am 5. Juni 1964 in Salzburg, immer und immer wieder und dann noch einmal am vergangenen Freitag, wie sein Krankenbett zum Sterbebett wurde: „Blasius, komm, verlass deine Liege und geh ins Leben!“
Und Du, Blasius, hast dich rufen lassen ans Herz unseres treuen Herrn und Hirten Jesus.
Wenn ich diese Gedanken mit einem Wort aus P. Mayers Festpredigt vor vielen Jahren begonnen habe „Lass dich doch einmal hinauf!“, dann darf ich jetzt schließen wiederum mit seinen eigenen Gedanken, wie er sie formuliert hat mit Blick auf das Deckengemälde des Festsaals im Kloster Rebdorf: „Gott ist auch der Schöpfer meines Herzens; das durfte ich vielfach erfahren. Und Gott musste mein Herz immer wieder reinigen, erleuchten und neu entzünden, damit es die Unruhe hin zu ihm, dem Schöpfer, nicht verlor.
Ich danke allen, die ein Herz für mich hatten und denen ich Herz sein durfte.“
– Amen.